Für ihre zweite Inszenierung am Schauspielhaus Bochum nach Lorenzaccio von Alfred de Musset wird sich Nora Schlocker mit einem zeitgenössischen Text, den 100 frei zusammensetzbaren Szenen des Stückes [BLANK] der renommierten britischen Schriftstellerin Alice Birch auseinandersetzen. Drei Teenager versuchen, das perfekte Instagram-Video über den Mord an einem Mädchen zu drehen. Eine Frau erwacht, als ihre Tochter auf der Suche nach Geld in ihre Wohnung einbricht. In einem Kinderzimmer markiert eine Linie aus Klebeband eine unüberwindliche Grenze. Eine verzweifelte Frau bettelt vor einem Frauenhaus um Einlass. Und das selbstzufriedene Geplänkel eines intellektuellen Freundeskreises gerät ins Stocken, als eine*r der Anwesenden das zur Schau gestellte Selbstverständnis und die vermeintliche Toleranz voller Wut in Frage stellt.
In diesem Stück geht es um die allgegenwärtigen Erlebnisse von Gewalterfahrung und Gewaltausübung, um das Versagen des Sozialstaats, darum, was es heißen kann, in einem Umfeld von Kriminalität, Drogen und Missbrauch aufzuwachsen, ohne den Schutz von Eltern, die, selbst hilflos diesen übergreifenden Mechanismen gegenüber, nicht mehr wissen, geschweige denn vorleben können, was Liebe und Geborgenheit bedeuten. [BLANK] zeigt Kinder und Familien, die mit dem Straf- und Sozialsystem in Berührung kommen, ihre Bemühungen, aus dem Kreislauf von Gewalt und Missbrauch auszubrechen, die Unzulänglichkeit der Institutionen, die Ignoranz der anderen. Aber zugleich auch die Sehnsucht nach Verbindung, Liebe, Momente der Zuwendung und überraschenden Humor. Je nach Auswahl der Szenen entstehen Verbindungen, variierende Geschichten – und zugleich Figuren, die mehr sind als die Summe ihrer Verletzungen.
Alice Birch gehört zu den gefragtesten Stimmen der jungen britischen Literaturszene. Sie schreibt für Theater und Film und wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem British Independent Film Award, dem Preis des Turiner Filmfestivals und dem Susan Smith Blackburn Preis für englischsprachige Dramatikerinnen. „Faszinierend, emotional präzise, poetisch, dabei nie prätentiös oder unglaubwürdig … die Spieler*innen wechseln zwischen den Rollen wie Geister, deren fluide Identitäten danach fragen, ob wir uns unsere Leben aussuchen und wie wir uns ihnen widersetzen können.“ (Time Out)
Mit Friederike Becht
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