Steven Scharf feiert am 08.10. mit „Passion I und II“ Premiere am Schauspielhaus Bochum

Worauf zu vertrauen, woran sich zu halten ist, daran entzünden sich heute wie immer die großen Diskussionen. Was Fakt, was Glaube, was wirklich ist – wer entscheidet?

Vielleicht der Teufel. Just der fällt als schwarzer Magier Voland im Moskau der 1930er Jahre ein, lässt Köpfe fallen und wieder an ihren Platz setzen, Geldscheine regnen und zu Konfetti zerfallen, verwandelt Menschen in Tiere oder zaubert sie an ferne Orte, verhöhnt die Behörden, Literaturredakteure, ja überhaupt die Obrigkeit und die, die an sie glauben, und lässt so schnell die Psychiatrie überquellen. Mit seiner schrillen Bande zeigt er den Menschen gleichmütig, dass ihre Welt auf Gier, Betrug und Feigheit gebaut ist, und erweist sich weniger als Gottes Gegenspieler denn als großer Metaphysiker. Ist also er es, der entscheidet, was richtig, was falsch ist, ja was überhaupt ist.

Oder ist es die Liebe? Der verhilft er zu ihrem Happy End, wenngleich vielleicht nicht auf Erden – Margarita sucht nach ihrem Geliebten, einem „Meister“ (Steven Scharf) genannten Schriftsteller, wird zur besenreitenden, himmelsstürmenden Ballkönigin Volands und daraufhin mit dem Wiedersehen des Geliebten belohnt. Dass ihre Liebe erst nach dem Gifttod lebbar sein wird – geschenkt.

Oder ist es der Staat, der entscheidet, was sein darf, was nicht? Im Roman Bulgakows, der zu dessen Lebzeiten nicht veröffentlich werden durfte, obgleich – oder gerade weil – Stalin zu Bulgakows Leser*innen gehörte, steckt ein Roman, der ebenfalls unveröffentlicht bleibt: Der Meister schrieb ihn über den gequälten Pontius Pilatus, der Jeschua Ha-Nozri lieber retten möchte und es doch nicht tut, über Levi Matthäus, der die Geschichte Jeschuas mit gravierenden Folgen recht eigenwillig weitergibt, über Judas, der verrät und bestraft wird. Angesichts der Zensur des Staates wirft der Meister sein Manuskript ins Feuer und verbirgt sich in der psychiatrischen Klinik. Doch Margarita rettet den Text, der sich zunehmend in die Realität (welche genau?) des Romans einschreibt, bis der Meister und Margarita, Pontius Pilatus und der Teufel, Moskau, Bulgakow und wir alle wie in einem Strudel in ihm aufgesogen werden: „Mir nach, Leser“, ruft es aus dem Buch. Und wir entscheiden.

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