Michael Maertens mit „Die Toten“ bei der Ruhrtriennale 2021

Diese Séance weiß um die Lebendigkeit der Toten, von der Macht der Abwesenden über die Anwesenden. In Martin Zehetgrubers bürgerlicher Grabkammer entwickelt Barbara Frey Bilder in meisterhaftem Chiaroscuro . Sich ganz dem Klang und dem Rhythmus der Sprache hingebend, öffnet sich in dieser Inszenierung die Welt des irischen Jahrhundertdichters James Joyce in all ihren Schattierungen.

„Seine Seele hatte sich der Region genähert, wo die unermesslichen Heerscharen der Toten ihre Wohnung haben. Er war sich ihrer unsteten und flackernden Existenz bewusst, aber er konnte sie nicht fassen. Seine eigene Identität entschwand in eine graue ungreifbare Welt: die kompakte Welt selbst, die sich diese Toten einstmals erbaut und in der sie gelebt hatten, löste sich auf und verging.“

In diesem Zustand befindet sich Gabriel Conroy (Michael Maertens) – die Hauptfigur aus der Erzählung „Die Toten“ von James Joyce – nachdem seine Frau ihm eröffnet hat, dass sie vor der Ehe eine leidenschaftliche Beziehung zu einem jungen Mann unterhalten habe, der ihretwegen gestorben sei. Das Fortleben der Toten unter den Lebenden ist eines der Themen dieses Projekts, das Barbara Frey als die letzte Produktion ihrer Intendanz am Schauspielhaus Zürich gewählt hat. Es ist James Joyce gewidmet, der viele Jahre seines Lebens in Zürich verbracht hat und auch hier gestorben ist – wenige Tage nach einem Gastmahl in der Kronenhalle. Sein Geist ist wieder auferstanden und erobert nun die Bühne des Pfauen. „Die Toten“ sprechen mit vielen Stimmen auf uns ein. Eine entfesselte Sprache im fliessenden Übergang zu Musik. Sie singen und tanzen und erzählen vom kleinen Glück und von der Enge des Lebens in Dublin, der Stadt, die für Joyce die ganze Welt bedeutete.

»Freys Kunst ist es, den Dingen einen Raum zu geben, die sich der Erklärung entziehen, dorthin, wo es keine Begrifflichkeiten gibt. Mit ihrer Abschiedsinszenierung (vom Schauspielhaus Zürich, A.d.R.) überlässt sie dem Publikum etwas, für das erst das Genre gefunden werden muss. Es ist die Sprache von James Joyce, die Stoff ist für ein Oratorium und eine Totenbeschwörung. Freys Theater war und ist die Kommunikation mit etwas Drittem, das verlässlich anwesend ist, mit Unnennbarem, Transzendentem vielleicht – einer Währung jedenfalls jenseits der gängigen.« (Neue Zürcher Zeitung)

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