Kein Drama hat den deutschen Sprichwortschatz so bereichert wie Schillers »Wilhelm Tell«. Den Einen gilt es als Politstück, das den Tyrannenmord und den Aufstand feiert. Andere kennen nur die unzähligen Comiczeichnungen vom berühmtesten Ereignis des Stücks, dem »Apfelschuss«. Und die Schweizer*innen gründen auf dem Mythos, der dem Drama zu Grunde liegt, ihr Selbstverständnis. Wie jede gute Literatur bietet »Wilhelm Tell« viele, einander auch ausschließende Deutungsmöglichkeiten. Regisseur Christian Weise fügt dem hinzu: »Wilhelm Tell« – die Sommertheaterversion auf der Seebühne des Luisenparks!
Aus dem Schweizer Bergidyll wird hier eine Wasserlandschaft, auf der sich die drei, von Schiller entworfenen Handlungsstränge entfalten: Wilhelm Tell weigert sich, den auf dem Marktplatz provokant als Machtsymbol installierten Hut des brutalen österreichischen Burgvogts Gessler zu grüßen. Um ihn zur Räson zu rufen, zwingt Gessler ihn, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen. Trotzdem Tells Pfeil trifft und das Leben des Kindes gerettet ist, ist der Held fest entschlossen, sich an seinem Erzfeind Gessler tödlich zu rächen. Parallel dazu schwören die vom Habsburger Kaiserreich unterdrückten Schweizer auf dem Rütli, dieses Regime zu stürzen. Und dann gibt es noch die konfliktreiche Beziehung zwischen Berta von Bruneck und Ulrich von Rudenz (Leonard Burkhardt), die beide in verschiedenen politischen Lagern stehen und ihre Liebe in den sich überschlagenden Ereignissen auf den Prüfstand stellen müssen.
Christian Weise wird »Wilhelm Tell« als Parabel erzählen. Falk Effenberger fügt der eindringlichen Pathetik Schillers seinen komponierten Sound hinzu. Aus der rauhen Gebirgswelt zaubern beide Künstler eine singende und klingende Wasserwelt, in der mit viel Witz um Recht und Freiheit gekämpft wird. Eine Freiheit, die sich am Ende allerdings als brüchig erweist.