Als »das Stück der Stunde« bezeichnet Barbara Frey, die inszenierende Intendantin der Ruhrtriennale, Shakespeares geniales und abgründiges Meisterwerk Der Sommernachtstraum, das seit mehr als 400 Jahren das Publikum verzaubert und verwirrt. Bei diesem dichterischen Naturereignis versagen alle Gattungsbegriffe. Der Text wechselt seine Gestalt, mäandert durch die verschiedenen Genres von höfischem Spiel zum derben Schwank, vom Traumspiel zum philosophischen Exkurs, von Komödie zu Tragödie. Nichts in diesem Text behält seine anfängliche Gestalt. Das ist zutiefst beunruhigend. Wir werden konfrontiert mit der Zumutung der Unberechenbarkeit. Wir wohnen dem Kontrollverlust der Figuren bei, erleben ihn selbst, erkennen die Brutalität der unverlässlichen Gefühle, sehen, wie Liebe sich entfärbt und zur Verachtung wird und wie umgekehrt Ignoranz abgelöst wird durch plötzlich aufflammende Leidenschaft. Wir verirren uns mit den einander Jagenden im nächtlichen Wald, der unser Sehvermögen einschränkt und die klaren Konturen verschwimmen lässt: die klare Trennbarkeit von Wahn und Realität. Wir werden vor die Frage gestellt, ob der Wach- oder der Traumzustand wirkmächtiger ist, ja, wie diese beiden Zustände überhaupt zu unterscheiden sind und wer uns warum und zu welchem Zwecke die Träume eingibt, denen wir nachstreben oder die uns heimsuchen. Hat der Mensch, haben wir einen eigenen Willen oder werden wir gesteuert – durch was und durch wen? Barbara Frey wird gemeinsam mit dem Ensemble des Burgtheater Wien das famose spielerische Potential dieses Stückes ausschöpfen und sich mit ihm fragen, ob die entfernte Vergangenheit uns nicht Wesentliches über unsere krisengeschüttelte Gegenwart mitzuteilen hat – ist die Renaissance doch nicht nur die Wiege unseres Selbstverständnisses, sondern auch der Ursprung des Paradoxons, in und mit dem wir seither leben.
Eine Koproduktion von Burgtheater Wien und der Ruhrtriennale.
Marie-Luise Stockinger spiet Lysander, Schnock.